Birken, so lehrt uns ein Urteil des Bundesgerichtshofs zu einem Nachbarschaftsstreit, können ganz schön Arbeit machen (Az. V ZR 218/18).
Zwischen März und Juni fliegen die Pollen. Samen und Früchte lösen sich aus den Zapfen der Birke von August bis September und sinken zu Boden. Auch fallen leere Zapfen herab (sogenannte „Würstchen“) sowie Blätter oder Birkenreiser. Solche „Immissionen“, die durch Birken eines Nachbarn verursacht wurden, wurmten einen Mann aus Baden-Württemberg. Denn dessen Nachbar hatte mehrere Birken mit einer doch stattlichen Höhe von je rund 18 Metern auf seinem Grundstück stehen. Zum Reinigungsaufwand kam der Entzug von Luft und Licht durch die hohen Bäume hinzu. Kurz: der Meinung des Mannes nach gehörten die Bäume des Nachbarn schlicht weg.
Der baumliebende Nachbar hingegen – er hatte die Bäume zwar nicht selber angepflanzt, jedoch vom vorigen Eigentümer übernommen – wollte seine Birken als Lebensraum und Nahrungsquelle für Vögel und Insekten erhalten. Demnach verwehrte er die Forderung seines Anrainers und ließ die Bäume stehen. Es kam zum dauerhaften Nachbarschaftsstreit.
Klage sollte Baumfällen erzwingen
Der Mann, der sich durch die Bäume gestört fühlte, verklagte letztendlich seinen baumliebenden Nachbarn. Dieser sollte die Bäume nun per Gerichtsbeschluss fällen müssen. Oder zumindest sollte für die Birken eine hohe monatliche Summe gezahlt werden, um den hohen Reinigungsaufwand zu entschädigen.
Den Beseitigungsanspruch der Bäume wollte der Kläger aus Paragraf 1004 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ableiten: Wird das Eigentum beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von einem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Wäre dies aber nicht möglich, forderte der Kläger hilfsweise einen Entschädigungsanspruch gemäß Paragraf 906 BGB – dieser definiert Regeln bei Zuführung unwägbarer Stoffe auf ein Grundstück, die durch andere verursacht werden.
Denn geduldet werden müssen sogenannte „Immissionen“ nur, wenn sie unwesentlich und zumutbar sind und zudem ortsüblich. Ansonsten kann der Betroffene einen Ausgleich verlangen. Die hilfsweise gestellte Forderung hatte es in sich: 230 Euro für jeden Monat von Juni bis November sollte der Baumliebhaber zahlen, solange seine Birken stehen.
Landgericht wollte Birken noch gefällt sehen
Die Gerichte mussten nun freilich entscheiden, ob der Nachbar mit den Birken wirklich ein solcher „Störer“ gemäß Paragraf 1004 BGB ist oder ob ein Entschädigungsanspruch gemäß Paragraf 906 besteht. Das Amtsgericht (AG) in Maulbronn entschied jedoch zunächst gegen den Kläger – und urteilte damit für den Baumliebhaber und seine Birken. In zweiter Instanz hingegen entschied das Landgericht (LG) Karlsruhe: Die Birken müssten weg. Denn durch den zusätzlichen Reinigungsaufwand würde das Grundstück des Klägers wesentlich beeinträchtigt. Und dies wäre ihm tatsächlich nicht zumutbar. Ein solches Urteil wollte sich der baumliebende Nachbar aber nicht gefallen lassen: Er legte Revision gegen das Urteil des Landgerichts vor dem Bundesgerichtshof (BGH) ein.
Bundesgerichtshof: Die Richter retten die Birken
Und der Eigentümer der Birken hatte Erfolg. Denn der BGH hob in Revision das Urteil des Landgerichts auf. Das Urteil des Amtsgerichts wurde wiederhergestellt – die Forderungen des Klägers wurden abgewehrt.
Hierfür stellten die Richter am Bundesgerichtshof heraus: Es stimme zwar, dass das Grundstück des Klägers durch die Bäume des Nachbargrundstück wesentlich beeinträchtigt werde. Jedoch: Dies geschieht in zumutbarer Weise, weil der Mann mit den Birken sein Grundstück ordnungsgemäß bewirtschaftet. „Ordnungsgemäß“ bedeutet hierbei: Im Einklang mit den maßgebenden Landesgesetzen. So ist zum Beispiel der Grenzabstand der Bäume zum Nachbargrundstück eingehalten gemäß Nachbarrechtsgesetz Baden-Württemberg (NRG BW).
Aus diesem Grund besteht auch kein Entschädigungsanspruch gemäß Paragraph 906 BGB. Auch besteht kein Beseitigungsanspruch, da der Eigentümer der Birken nicht als „Störer“ im Sinne des Paragrafen 1004 BGB gilt, solange er sich an die maßgebenden Gesetze zur Bewirtung der Bäume hält. Stattdessen muss der Kläger den erhöhten Reinigungsaufwand in Kauf nehmen.
Ist doch das Nachbarrecht durch einen Ausgleich der einander widerstreitenden Interessen gekennzeichnet. Und zu diesem Ausgleich zählt mitunter auch die Inkaufnahme eines erhöhten Reinigungsaufwands, solange man dem Eigentümer eines angrenzenden Grundstücks die Beeinträchtigung nicht zurechnen kann, weil die gesetzlichen Bestimmungen eingehalten werden.
Nachbarschaftsstreit vor Gericht durch drei Instanzen: Man überprüfe seinen Versicherungsschutz
Was aber zeigt der Rechtsstreit der Nachbarn, der durch drei Instanzen ging, zusätzlich? Erst in dritter Instanz konnte der Eigentümer der Birken die unberechtigten Forderungen seines Nachbarn – das Fällen der Birken oder einen hohen Ausgleich durch Geld – abwehren. Das anschauliche Urteil sollte also Grund genug sein, den Versicherungsschutz bei der Rechtsschutzversicherung zu überprüfen, bestenfalls mit einer Expertin oder einem Experten. Denn manchmal ist es auch eine Frage der finanziellen Absicherung, ob man zu seinem guten Recht kommt und einen Rechtsstreit durch mehrere Instanzen stemmen kann.